Nachhaltigkeit und Lieferketten – Dem Mittelstand droht ein „Bürokratiemonster“
Die Themenbereiche Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz sowie die Beziehungen zu Lieferanten in der Liefer- oder Wertschöpfungskette nehmen zu Recht eine immer größere Bedeutung in der öffentlichen Diskussion ein.
In den letzten Wochen und Monaten wurden durch die deutschen und europäischen Gesetzgeber mehrere Regulierungsvorhaben auf den Weg gebracht, die bislang nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen oder Großkonzerne Relevanz hatten. Künftig sollen auch größere Mittelständler betroffen sein, vermutlich werden diese Regulierungsvorhaben aber auch Auswirkungen auf kleinere Mittelständler innerhalb von Lieferketten mit größeren Unternehmen haben.
Mittelständische Unternehmer sind zwar bürokratisches Leid gewöhnt, die vorgesehenen Regelungen haben aber zum Teil eine neue Dimension.
Nachhaltigkeitsberichterstattung
Die EU-Kommission hat im April 2021 einen Richtlinienentwurf zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) veröffentlicht. Die Vorgängerregelung aus 2016 betraf nur kapitalmarktorientierte Gesellschaften (z. B. börsennotierte Aktiengesellschaften), Banken und Versicherungen mit mehr als 500 Arbeitnehmern. Die neue Richtlinie soll auf alle „großen“ Kapitalgesellschaften und gleichgestellten Personenhandelsgesellschaften im Sinne des § 267 Abs. 3 HGB (Umsatz EUR 40 Mio., Bilanzsumme EUR 20 Mio., 250 Mitarbeiter) anzuwenden sein.
Die Berichterstattung soll Bestandteil des prüfungspflichtigen Lageberichts werden. Zu Art und Umfang der Angaben sind ergänzende Vorgaben angekündigt worden. Die dafür zuständige Organisation, die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), hat im April 2022 dazu 13 erste Standardentwürfe in einem Gesamtumfang von rd. 400 Seiten vorgelegt. Neben zwei Übergreifenden Standards sind dies
- fünf Entwürfe zu Umweltbelangen (Klimawandel, Umweltverschmutzung, Wasser- und Meeresressourcen, Biodiversität und Ökosysteme, Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft)
- zwei Entwürfe zur Unternehmensführung/Governance (Governance mit Risikomanagement und internen Kontrollen, Geschäftsgebaren)
- vier Entwürfe zu sozialen Themen (Eigene Mitarbeiter, Mitarbeiter der Wertschöpfungskette, Betroffene Kommunen sowie Konsumenten und Endverbraucher).
Die Richtlinie sollten ursprünglich schon für alle Geschäftsjahre anzuwenden sein, die nach dem 31.12.2022 beginnen. Inzwischen ist wohl mit einer mindestens einjährigen Verschiebung zu rechnen.
Für Mittelständler oben genannter Größenordnung dürften Zeitpunkt der Erstanwendung und zu erwartende Detailregelungen trotz der Verschiebung eine erhebliche Herausforderung werden. Dies zeigen schon allein Anzahl und Umfang der skizzierten Standardentwürfe zur Konkretisierung.
Mittelbar könnten auch nicht-große Kapitalgesellschaften / Personenhandelsgesellschaften von der Anwendung betroffen sein, wenn dies z. B. von großen Lieferanten oder Kunden eingefordert wird oder wenn sie sich im Gesellschaftsvertrag selber zur Anwendung der Bilanzierungsvorschriften für große Kapitalgesellschaften verpflichtet haben.
Lieferkettenregulierung
National
Bundestag und Bundesrat haben im Juni 2021 ein sogenanntes Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verabschiedet, das ab 2023 von Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern und ab 2024 von Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern anzuwenden ist.
Zielsetzung ist die Sicherstellung von Menschenrechten durch die Beachtung von Sorgfaltspflichten der Unternehmen. Diesbezügliche Risikoanalysen, ein Risikomanagement, ein Beschwerdemechanismus und eine öffentliche Berichterstattung unmittelbar im eigenen Geschäftsbetrieb und beim unmittelbaren Zulieferer vorzunehmen; anlassbezogen sind auch für den mittelbaren Zulieferer Risikoanalysen vorzunehmen und ggf. weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Das Gesetz hat für kleinere Mittelständler zunächst keine direkte Auswirkung. Sofern sie aber unmittelbare oder mittelbare Zulieferer größerer Unternehmen/Konzerne sind, können sich mittelbar auch für sie Auswirkungen ergeben.
Europäische Union
Ende Februar 2022 hat nun die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) vorgelegt, der sowohl sachlich als auch vom persönlichen Anwendungsbereich deutlich weiter gefasst ist. Neben Menschenrechten sollen auch Klima- und Umweltschutzziele Berücksichtigung finden. Ferner ist hier eine Anwendung auf die gesamte Lieferkette vorgesehen. Erschwerend kommt hinzu, dass nach diesem Gesetzesentwurf alle Unternehmen ab 500 Beschäftigten und EUR 150 Mio. Umsatzerlösen zur Beachtung der Pflichten in ihrer gesamten Lieferkette verpflichtet werden sollen. Für bestimmte „Hochrisikobranchen“ wie der Textilindustrie, der Lebensmittelsektor oder in der Land- und Forstwirtschaft werden sogar Grenzen von 250 Beschäftigten und EUR 40 Mio. Umsatz vorgeschlagen.
Der Richtlinienentwurf sieht für die Unternehmen konkrete Vorschriften für die Einbeziehung der Menschenrechts- und Umweltschutzziele in die Unternehmensstrategie vor, deren Risiken zu beurteilen und Maßnahmen zur Risikoreduzierung festzulegen sind. Selbst eine auf diese Ziele ausgerichtete Vergütungspolitik für die Mitglieder der Unternehmensführung sieht der Entwurf vor.
Neben den inhaltlichen Anforderungen kommen hier noch vorgesehene zivilrechtliche Haftungsregelungen hinzu, nach denen Betroffene von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden gegen die verursachenden Unternehmen klagen können sollen.
Auch bei dieser geplanten Gesetzesregelung wären auch für kleinere Mittelständler mittelbare Auswirkungen zu erwarten.
Hinweisgebersysteme
Ebenfalls auf Initiative der Europäischen Union, basierend auf einer EU-Richtlinie aus 2019, geht ein Gesetzgebungsverfahren über sogenannte Hinweisgebersysteme zurück. Die Richtlinie hätte von Deutschland eigentlich bis Ende 2021 umgesetzt sein müssen. Aber erst im April 2022 wurde ein Referentenentwurf für ein entsprechendes nationales Gesetz veröffentlicht. Ziel ist es, dass alle Arbeitgeber ab 50 Beschäftigten den Beschäftigten eine interne Meldestelle zugänglich machen, an die sie – unter strikter Wahrung der Vertraulichkeit – Gesetzesverstöße melden können. „Meldefähig“ sind vor allem strafbewehrte Verstöße, bestimmte bußgeldbewehrte Verstöße (z. B. bei Gesundheitsschutzvorschriften, Arbeitsrechtsvorschriften o. ä.) sowie eine Vielzahl von sonstigen deutschen oder europäischen Gesetzen und Rechtsakten (z. B. zum Umweltschutz, zur Lebensmittelsicherheit, zum Datenschutz oder zu Verbraucherrechten).
Die interne Meldestelle kann ein eigener Mitarbeiter oder eine leitende Person im Unternehmen sein, sie kann aber auch auf einen Dienstleister ausgelagert werden. Als Meldewege kommen mündliche (z. B. telefonisch, Mailbox), textliche (z. B. anonymisierte E-Mails, Briefkasten) oder internetbasierte Plattformen in Frage. In allen Fällen ist das Vertraulichkeitsgebot und der Datenschutz sicherzustellen.
Für Unternehmen mit 250 oder mehr Beschäftigten sollen die Vorgaben mit In-Kraft-Treten des Gesetzes gelten (da die Richtlinie ja eigentlich schon umzusetzen war), für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten ist eine Übergangsregelung bis Ende 2023 vorgesehen.
Mitbestimmte Aufsichtsräte
Nach dem sog. Drittelbeteiligungsgesetz sind u. a. Aktiengesellschaften und GmbH mit regelmäßig mehr als 500 Arbeitnehmern verpflichtet, unabhängig von sonstigen Regelungen einen Aufsichtsrat zu bilden und in diesem mindestens ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen.
Wie dem Koalitionsvertrag zu entnehmen ist, plant die neue Bundesregierung, diese Regelungen (mindestens) insofern zu verschärfen, als dass die Grenze von 500 Arbeitnehmern künftig auf Konzernebene anzuwenden sei. Eine „Umgehung“ durch eine Aufteilung der Belegschaft über mehrere Gesellschaften würde dadurch nicht mehr möglich sein. Auch eine Ausweitung auf bislang nicht genannte Rechtsformen (insbesondere die SE) ist geplant. Ob dies z. B. auch auf die GmbH & Co. KG ausgeweitet werden soll, ist noch nicht ersichtlich. Der Anwendungsbereich, der administrative Aufwand für die Bildung von Aufsichtsräten und der Einfluss der Arbeitnehmervertreter (inkl. Gewerkschaftsvertreter) dürfte sich dadurch deutlich ausweiten.
Ob und mit welchen Detailregelungen diese Neuerungen kommen werden, bleibt abzuwarten.
Fazit
In immer mehr Bereichen versuchen, europäische und deutsche Gesetzgeber grundsätzlich begrüßenswerte Ziele verstärkt durch neue Pflichten auf Unternehmen durchzusetzen. Die Gefahr, dass mittelständisch und familiär geprägte Unternehmen hierdurch überfordert werden, steigt.
| Nachhaltigkeits-Bericht | Lieferketten national | Lieferketten EU-Regelung | Hinweisgeber-Systeme | Mitbestimmte Aufsichtsräte |
Anzuwenden ab | Voraussichtlich 2024 | 2023 bzw. 2024 | 2 bzw. 4 Jahre nach In-Kraft-Treten der CSDDD | 2022 (ab 250 Mitarbeiter) bzw. 2023 | Offen |
Anwendungsgrenze nach Umsatz | EUR 40 Mio. (oder Bilanzsumme EUR 20 Mio.) | — | 40 Mio. (Hochrisikobranchen) bzw. EUR 150 Mio. | — | — |
Anwendungsgrenze nach Mitarbeitern | 250 Mitarbeiter | 3.000 bzw. 1.000 | 500 oder 250 (Hochrisikobranchen) | 50 (bis 249 Übergangsfrist bis 2023) | 500 auf Konzernebene statt einzelnes Unternehmen |
Umsetzungsaufwand | Sehr hoch | Mittel bis hoch | Hoch und drohende Zivilhaftungsklagen | Gering | Mittel, aber vielfach nicht gewollte Auswirkung |
Ausstrahlung auf kleinere Unternehmen | Ja, über Lieferketten, Bankanforderungen, Öffentlichkeit etc. Oder über den eigenen Gesellschaftsvertrag | Ja, über große Kunden zu erwarten | Auch hier zu erwarten | Evtl. durch einzelne Kunden oder Lieferanten | Nein |
Prüfungspflichtig (Abschlussprüfer oder evtl. andere „geeignete Prüfer“) | Ja | Nein | Ja | Nein | Nein, ggf. Bericht-erstattung bei Verstoß |